Reisfische sind eine Familie kleiner Süßwasserfische aus Süd-, Ost- und Südostasien, die vor allem durch den Medaka (Oryzias latipes-Komplex) bekannt sind, der als Modellorganismus in der Biologie und auch durch seine attraktiven Zuchtformen bekannt ist. Die größte Diversität dieser Familie findet sich jedoch auf Sulawesi, wo etwa die Hälfte aller beschriebenen Arten endemisch vorkommt.

Einige dieser Arten zeigen außergewöhnliche Besonderheiten. Ein gutes Beispiel hierfür ist Oryzias eversi. Zum einen wäre da seine eigenartige Fortpflanzungsstrategie: O. eversi ist eine der sogenannten „bauchbrütenden“ Reisfischarten, die nur auf Sulawesi vorkommen. Die meisten Reisfische sind „Transfer-Brüter“, die nach der Paarung die befruchteten Eier, die noch über Filamente verbunden an der Genitalpore des Weibchens hängen, an feinen Substraten wie Pflanzen oder feinen Wurzeln abstreifen. Bei einigen Reisfischarten von Sulawesi ist jedoch eine davon abgeleitete Fortpflanzungsbiologie entstanden. Statt die Eier nach der Paarung abzustreifen, verbleiben diese bis zum Schlupf über Filamente verbunden am Körper des Weibchens. Diese Tragezeit kann zwei bis drei Wochen dauern. Die evolutionären Gründe für die Entstehung dieser Strategie werden immer noch erforscht. Bei anderen Bauchbrüter-Arten wurde angenommen, dass dies eine Anpassung an Freiwasserlebensräume in großen Seen darstellt, die es den Fischen ermöglicht, sich dort trotz fehlender Laichsubstrate zu vermehren. Allerdings bewohnt O. eversi eindeutig kein solches Habitat.

Der Tilanga-Pool ist ein winziger Karstpool mit kühlem Wasser (21 – 22°C), etwa 30 – 40 m lang und 10 m weit, der als natürlicher „Swimmingpool“ genutzt wird. Das Foto deckt fast das gesamte Verbreitungsgebiet ab, aus welchem Oryzias eversi bislang bekannt ist.
© Julia Schwarzer

Die Verbreitung und der Lebensraum sind die zweite Besonderheit dieser Fischart. Der Tilanga-Karstpool in der Region Tana Toraja in der Provinz Süd-Sulawesi (Sulawesi Selatan), in dem Oryzias eversi entdeckt wurde ist winzig – gerade etwa 40 m lang und 10 m weit. Trotz einiger Bemühungen, diese Art auch an anderen Stellen in der Nähe des Tilanga-Pools zu finden, wurde sie bislang noch nirgendwo sonst nachgewiesen. Möglicherweise ist der Pool tatsächlich der einzige existierende Ort, an dem dieser Reisfisch vorkommt, was ihn zu einem sogenannten Mikroendemiten machen würde. Der Pool ist nur wenige Meter tief, und eigenartigerweise sind potentielle Laichsubstrate zum Abstreifen von Eiern zur Genüge vorhanden.

Leider ist der Tilanga-Pool kein wirklicher sicherer Hafen für Oryzias eversi. Als eine Art natürlicher Swimmingpool mit kristallklarem, kühlen Wasser ist er ein beliebtes Ausflugsziel von Touristen und Einheimischen gleichermaßen. Die Menschen haben das ökonomische Potential dieser Oase entdeckt, und um den Pool zu betreten muss man an einem kleinen gelben Kassenhäuschen einen Eintrittspreis bezahlen. Der Pool wird für verschiedene Aktivitäten genutzt: Einige Menschen waschen sich dort, und unabdingbar gelangen so Seife und andere Reinigungsmittel ins Wasser. Darüber hinaus wird der Pool auch von eingeführten nicht-heimischen Arten bewohnt. Karpfen schwimmen im klaren Wasser, und Schwärme von Guppies sind überall zu finden. Die einzigen anderen einheimischen Fischarten sind Nomorhamphus rex, ein Halbschnäbler, sowie Marmoraale (Anguilla marmorata), die bis zu 1,5 m lang werden und dort von den Menschen mit rohem Eigelb gefüttert werden, wofür der Pool dort unter anderem auch bekannt ist.

Der Pool wird zu Erholungszwecken von Einheimischen und Touristen genutzt, die ihn zum Baden besuchen oder dort große Marmoraale mit Eigelb zu füttern – Aktivitäten, die sich selbstverständlich auf das Habitat auswirken. Um das Areal zu betreten, muss man an diesem Kassenhäuschen eine kleine Eintrittsgebühr bezahlen.
© Julia Schwarzer

Im Jahr 2010, als die Art entdeckt wurde, waren noch viele Reisfische im Pool zu sehen. Die Männchen verteidigten kleine Territorien, während die Weibchen in kleinen Schwärmen zusammenstanden. Als Wissenschaftler des Zoologischen Forschungsmuseums Alexander Koenig in Bonn jedoch 2019 den Pool erneut aufsuchten, konnten sie nur noch etwa zehn Tiere beobachten, allesamt in schlechter Verfassung, bedeckt mit Parasiten und Pilzinfektionen. Einige der Parasiten waren Ankerwürmer, parasitische Krebstierchen, die sich an Haut und Flossen der Fische festsetzen. Sehr wahrscheinlich gelangten diese Parasiten über ausgesetzte Fischarten in das Gewässer. Darüber hinaus werden Pilzinfektionen oft durch Stress ausgelöst, etwa durch Verschmutzung mit Chemikalien. Offensichtlich hatten menschliche Interaktionen mit dieser eigenartigen Fischart bislang einen sehr negativen Einfluss. Heute, fast drei Jahre nachdem der Pool das letzte Mal von Ichthyologen aufgesucht wurde, ist die Art dort möglicherweise bereits verschwunden, was aufgrund des möglichen Mikroendemismus bedeuten könnte, dass sie in freier Wildbahn vollständig ausgestorben ist.

Viele Fische im Pool, wie dieses Männchen des Halbschnäbler Nomorhamphus rex, sind in schlechter gesundheitlicher Verfassung und zeigen ausgeprägte Pilzinfektionen. Diese werden wahrscheinlich durch Wasserverschmutzung verursacht, etwa durch Detergenzien von sich waschenden Gästen, welche für stresshafte Bedingungen für die Fische sorgen.
© Jana Flury
Neben den Pilzinfektionen tragen viele Fische auch parasitische Ankerwürmer (Lernaea sp.), wie dieses Männchen von Oryzias eversi an seiner Kehle. Diese Parasiten wurden vermutlich zusammen mit nicht-einheimischen Fischarten wie Guppies oder Karpfen eingeführt. Vor allem bei kleinen Fischen schwächen diese die Gesundheit ihrer Wirte erheblich.
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Wahrscheinlich der Verschmutzung und den Parasiten geschuldet ist die Population von Oryzias eversi im Pool zusammengebrochen. Während es dort zur Zeit ihrer Entdeckung im Jahr 2010 noch zahlreiche Reisfische gab, wurden 2019 nur etwa zehn Individuen beobachtet. Mittlerweile könnte die Art bereits in der Natur ausgestorben sein.
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Glücklicherweise wurde der Tana-Toraja-Reisfisch vom Aquarienenthusiast Hans Evers und Freunden entdeckt, die einige dieser Fische für den Verbleib in der Aquaristik zu einem Zeitpunkt fingen, als die Population noch intakt erschien und es viele Reisfische im Tilanga-Pool gab. Nicht nur wegen der Brutpflege durch die eiertragenden Weibchen stellte er sich als interessanter Aquarienfisch und durchaus leicht zu züchten heraus, denn die Nachkommen können mit wenig bis normalem Aufwand großgezogen werden. Leider besitzt die Art zu ihrem eigenen Nachteil keine allzu hübsche Färbung wie einige andere zu einem ähnlichen Zeitpunkt entdeckte Sulawesi-Reisfischarten. Dies hielt sie davon ab, eine ähnlich große Popularität unter Aquarianern zu erlangen wie die rot-blauen Neon-Reisfische (Oryzias woworae group) aus Südost-Sulawesi (Sulawesi Tenggara). Dennoch ist ihre Brutbiologie einzigartig, und aufgrund ihrer geringeren Größe und nicht-pelagischen Ökologie ist die Art deutlich leichter zu halten als die zweite in der Aquaristik vertretene bauchbrütende Reisfischart, Oryzias sarasinorum vom Lindu-See, die größer wird und mehr Freiraum zum Schwimmen benötigt. Mehrere zoologische Gärten haben Oryzias eversi bereits in ihre Aquarienausstellungen aufgenommen, und beteiligen sich an der Erhaltung eines Zuchtbestandes in Gefangenschaft, sodass ein endgültiges Aussterben der Art immer unwahrscheinlicher erscheint. Dank einer steigenden Zahl an Aquarianern und zoologischen Institutionen, die diese Art halten könnten sich so neue Wege für ein mögliches zukünftiges Wiederansiedlungsprojekt eröffnen.

Jan Möhring